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liturgie leben

Rezensionen

Walter Fürst (Hg.), Pastoralästhetik.

Die Kunst der Wahrnehmung und Gestaltung in Glaube und Kirche

unter Mitarbeit von Andreas Wittrahm u. Ulrich Feeser-Lichtenfeld, in der Reihe Quaestiones Disputatae, Peter Hünermann u. Thomas Söding (Hgg.), Bd. 199, Freiburg im Breisgau (Herder) 2002, ISBN 3-451-02199-4, 28.-

Gibt es eine „Ästhetik des Christlichen“ (24)? In „kritische[r] Zeitgenossenschaft“ (158) mit ästhetischen Denkmodellen der 90ger Jahre und dem pop-kulturellen „Ästhetik Boom“ (39) hat der Pastoraltheologe Walter Fürst diese Frage im Diskurs der Praktischen Theologie aufgeworfen und im Jahr 2000 dafür die Bezeichung „Pastoralästhetik“ in den Raum gestellt (PthI 20 (2000) 28-31).

Der vorliegende Band gibt die überarbeiteten Beiträge eines Symposions mit dem Titel „Pastoralästhetik“ wieder. Schüler, Schülerinnen und Kollegen des Theologen haben anläßlich seines sechzigsten Geburtstags im Jahr 2000 Ansätze zusammengetragen, den Begriff und den damit verbundenen Zugang zu kirchlichem/christlichem Handeln genauer zu erfassen.

Nach einem kurzen Buchüberblick der Herausgeber analysiert zunächst der evangelische Theologe Henning Schröer (gest. 7.2.2002) in einem thematischen Überblick die theologischen Wegmarken seit der „ästhetischen Wendung“ (17) der 70ger Jahre im Bereich der evangelischen und katholischen Praktischen Theologie und eröffnet damit das interkonfessionelle Diskussionsfeld. Es ist im Hinblick auf die Pastoralästhetik insofern von besonderem Reiz, als evangelische und katholische Theologie den Begriff „Pastoral“ höchst unterschiedlich verstehen. Michael Meyer-Blanck macht in seinem Beitrag „Inszenierung und Zeichen. Pastoraltheologie aus evangelischer Perspektive“ deutlich, dass Pastoraltheologie im evangelischen Horizont in der Regel die „spezielle Berufstheologie des Pfarramtes“ (120) meint. Er rekuriert entsprechend in seinem Ansatz von Pastoralästhetik als Wahrnehmung und Gestaltung der Pastoren-Rolle auf die Begriffe „Inszenierung und Präsenz“ (122), die er aus der Theaterästhetik in die Diskussion gebracht hat. Die Pastoral im katholischen Verständnis hingegen hat, so Fürst, als ekklesiologischer Begriff 𠇪lle Dimensionen und Kategorien kirchlichen Handelns zum Gegenstand“ (50), also auch jene, die die Gemeinde und Kirche als ganze betreffen.

Fürst gibt in seinem Einführungsbeitrag „Was veranlasst die Praktische Theologie heute, Pastoralästhetik zu treiben?“ neben dieser Grundorientierung eine zweite Linie vor, die die meisten Autoren aufnehmen: Es ist die kritische Sicht auf die gegenwärtig „ambivalente Aktualität des Ästhetischen“ (37), die u. a. theologisch im Bilderverbot der jüdisch-christlichen Tradition Rückhalt findet. Die Kritik der „Anästhetik“ (41) ist für Fürst ebenso grundlegend für ein „pastoralästhetisches Urteilsvermögen“ (53) wie die Aufnahme kultureller Impulse.


Es hat den Anschein, dass die vorgenommene Dreiteilung des Buches in „I. Bausteine, Einreden, Aufrisse“, „II. Fundorte“ und „III. Schnittstellen“ die Polyphonie der Beiträge nur unzureichend ordnen kann. Das hat damit zu tun, dass unter dem Paradigma der Pastoralästhetik positiv theoretische Reflexion und praktischer Wahrnehmung bzw. Gestaltung in der Weise zusammengeführt werden können, dass die Fundorte die Aufrisse wesentlich mit konfigurieren. Voraussetzung ist dabei, dass hier alle Autoren mit einem Ästhetikbegriff operieren, der sich weder ausschließlich auf die Wahrnehmung bezieht, noch die Ästhetik im engen Sinne als Kunstlehre versteht, die die exklusive künstlerische Gestaltbildung erfaßt. Kirchliches- wie Glaubenshandeln ist ästhetische Praxis. Wahrnehmenden und gestaltende Funktionen sind in ihr vereint.

Alle diese Aspekte versucht Fürst in seiner Definition zusammenzudenken: Unter dem Begriff Pastoralästhetik versteht der Herausgeber „sowohl die wissenschaftliche Thematisierung wie die praktische Realisierungsweise kritischer Wahrnehmung und kritischer Gestaltbildung christlich-kirchlicher Pastoral und Praxis“ (33). Die einzelnen Beiträge lassen sich so lesen, dass sie innerhalb der Definition der Pastoralästhetik unterschiedliche Schwerpunkte setzen:

Die Pastoralästhetik im theologischen und transtheologischen Diskurs in einem ersten Durchgang von seiner systematisch theologischen Seite her zu klären versuchen die Beiträge „Zwischen Theologischer Ästhetik und Pastoralästhetik. Bemerkungen eines Systematikers (Josef Wohlmuth) und „Mit den Augen des Glaubens. Präliminarien und Strukturelemente einer theologisch verantworteten Ästhetik pastoralen Handelns“ des Herausgebers. Die beiden seelsorgetheoretischen Beiträge „Gestalten der Hoffnung. Grundsätzliches und Exemplarisches zum dialektisch-theologischen Verhältnis von Pastoralpsychologie und Pastoralästhetik“ (Andreas Wittrahm) sowie „Der heilsame Blick aufs Fragment. Pastoralästhetische Reflexion aus der Perspektive der Psychoanalyse“ (Wolfgang Reuter) verknüpfen Psychologie und Ästhetik zugunsten einer ästhetisch orientierten Seelsorgetheorie.

Eine exemplarische Realisierungsweise entwickelt Hermann M. Stenger am historischen Beispiel in „Das Sichtbarwerden des Unsichtbaren. Von der Glaubensästhetik Aloys Goergens zur Pastoralästhetik“. Auch der Beitrag „Mimesis – Anamnesis – Poesis. Überlegungen zur Ästhetik christlicher Liturgie als Vergegenwärtigung“ (Albert Gerhards) sieht in der Tendenz auf die praktische Gestaltbildung. Ebenso der Beitrag über die „Geste als praktisch-theologische Kategorie“ (Reinhard Feiter).

Die Differenzierung der Attribute christlich und kirchlich findet in Bezug auf die Pastoralästhetik ihren Niederschlag in Beiträgen, die einerseits stärker am Glaubenssubjekt orientiert sind, und in Ansätzen andererseits, die die Gesamtgestalt von Kirche und Gemeinde betreffen. Zu ersteren sind zu zählen der oben genannte Beitrag über Aloys Goergens sowie die „Kunst der Seelsorge. Symbolische Erfahrung als Selbstobjekt-Praxis im Geiste Jesu“ (Heribert Wahl) und „Das verunstaltete Symbolum. Glaubensästhetische Kritik der neuen Formel der Professio Dei“ (Gerd Heinemann). Zun den ekklesiologisch orientierten Beiträgen zählen: „Kultivierte Gemeindeentwicklung. Pastoralästhetische Aspekte der Reflexion gemeindlicher Praxis“ (Bruno Ernsperger), „Interkulturelle Impulse für eine Pastoralästhetik. Bestätigung und Problematisierung am Beispiel der Small Christian Communities in den USA“ (Bernd Lutz) und „Auf der Suche nach einer überzeugenden Form der kirchlichen Diakonie“ (Isodor Baumgartner).

Martina Blasberg-Kuhnke integriert beide Perspektiven in „Koinonia-Erfahrung. Versuch einer pastoralästhetischen Reflexion im Horizont der entfalteten Moderne“ wieder und versucht, dem gegenwärtigen komplizierten und vielschichtigen Verhältnis von ekklesiologischer und individueller Glaubens und Lebensgestalt eine Perspektive zu geben.


Der Frage nach den kulturkritischen Perspektiven der Pastoralästhetik widmen sich umfassend die Beiträge „Die Zeichen der Zeit deuten“ (Ottmar Fuchs) und „,Ansichtssache`. Ästhetik zwischen Zeitdiagnose und Sozialanalyse“. Der Beitrag „,Zeichen und Werkzeug` - eine ekklesiale Inspektion“ (Burkard Severin) reflektiert das Instrumentarium der Pastoralästhetik als Wahrnehmung der sichtbaren Kirche nach innen, während Ulrich Feeser-Lichterfeld und Tobias Kläden diskutieren, in welcher Weise die „Empirisch-theologische Forschung“ als Wahrnehmungsinstrumentarium der sichtbar unsichtbaren Pastoral zu nutzen ist.

Es ist nicht nur nachvollziehbar sondern auch richtungsweisend, wenn die katholische Theologie ästhetische Fragestellungen auf die Weite der kirchlichen und christlichen Wirklichkeit bezieht, die der Begriff der Pastoral in diesem praktisch theologischen Kontext – freilich mit dem Risiko der Überfrachtung – zu umfassen vermag. Als theologisch produktiv stellt es sich dabei heraus, dass Kirche und Pastoral nicht vollständig miteinander identifiziert werden können, dass die Pastoral als Gemeinde von weltgebundenen Glaubenssubjekten durchlässig ist für die Erscheinungen kultureller Gestalten. Das verdeutlichen schließlich die Beiträge „AugenBlicke. Anstöße und Herausforderungen – nicht nur im Kino ( Thomas Kroll) und „Raumerfahrung und soziale Skulptur. Josef Beuys´ PALAZZO REGALE (Marco-Antonio Sorace). Im Kontext evangelischer Theologie wird der Begriff „Pastoral“ zu weiten sein, um die paradigmatische Vielfalt auszuschöpfen, die die Pastoralästhetik zu erfassen vermag. Denn weder eine „Kirchenästhetik“ noch eine „Glaubensästhetik“ etwa können an diesen intergrativen Ansatz heranreichen.

Marcus A. Friedrich